Interessanter Artikel aber leider etwas engstirnig. Er zieht in keiner Weise de natürlichen psychologischen Mechanismen in Betracht, mit der sich jede Person selbst zu schützen versucht. Es ist leicht heute schuldige zu Suchen und pauschal ein ganzes Volk anzuklagen weil sie nichts getan hätten.
Ich bin aber überzeugt, dass derartige grausame Machenschaften in jeder Gesellschaft, in jedem Land möglich wären. Als Beispiel möge Russland dienen wo unter Stalin auch der Zivilbevölkerung genug angetan wurde (da spreche ich noch nicht mal von den Gulags, sondern von Hungersnöten, Enteignungen usw) und diese einfach keine Möglichkeit hatte sich dagegen aufzulehnen. Es gab einfach keine Alternative.
Und ich bin überzeugt, dass in jedem anderen Land auch mit der Erschaffung eines Feindbildes diese Greueltaten möglich gewesen wären.
Jetzt die gesamte Zivilbevölkerung als Mitschuldige zu bezeichnen, weil sie nicht aufbegehrt haben, weil sie nicht ihr eigenes Leben riskiert haben im Kampf gegen dieses übermächtige Regime, halte ich für heuchlerisch und selbstgerecht.
Natürlich kann man im Nachhinein und mit der Überzeugung des Unschuldigen den Finger ausstrecken - du hast davon gewusst, und du, und du.
Ich habe erst kürzlich in den Kriegstagebüchern meines Großvaters gelesen. Er ist Jahrgang 1921 und war an der Ostfront. Irgendwann beschreibt er, dass sie in einer Reservekompanie gedrillt wurden und ab diesem Zeitpunkt kann man eine extreme Veränderung in seinem Sprachgebrauch ausmachen. Während er vorher von Kameraden schreibt, berichtet er später von der Wichtigkeit den Bolschwismus zurück zu drängen und das Vaterland zu retten. Die Indoktrinierung ist extrem zu erkennen. Später an der Front verändert sich die Sprache wieder.
Man muss sich dabei vorstellen, dass diese jungen Männer im Alter von knapp über zwanzig Jahren von Respektspersonen, Lehrern, Ausbildnern usw indoktriniert wurden. (und mein Opa war nur in der Wehrmacht) Wer könnte von sich behaupten, dass er sich einfach einer derartigen Massenbewegung, zu der es keine wirkliche und keine erkenbare Alternative gab, hätte entziehen können?
Mein Großvater ist heute 96 Jahre alt und wird mittlerweile dement. In seinen durch die Krankheit hervorgerufenen Träumen und Tagträumen muss er sich wieder und wieder mit den damaligen Vorkommnissen auseinandersetzen. Dabei ist nichts mehr vom Geist der Kameradschaft zu spüren sondern ihn quälen Albträume von Kommandeuren die Rekruten einziehen, von der Musterung für eine eventuelle SS-Mitgliedschaft und vom Krieg an sich.
Sein gesamtes Leben hat mein Großvater (ich denke mit Erfolg) versucht diese schreckliche Vergangenheit zu verdrängen. Er wurde mit mehreren Orden ausgezeichnet und hat daher offensichtlich seinen Kriegsalltag mit Kämpfen und nicht in der Etappe verbracht. Ich bin mir sicher, dass er viele Dinge gesehen hat, die ihn später verfolgt haben. Dennoch hat er es mit einer schweren Verwundung die seinen Arm lähmte geschafft 8 Töchter groß zu ziehen und sie zu ordentlichen, kritischen Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen. Und dennoch hat ihn die Vergangenheit nun im Alter eingeholt und verwehrt ihm ruhig von der Welt Abschied zu nehmen.
Ich denke also nicht, dass jemand, der diese Zeit nicht einmal erlebt hat, nicht dabei war und sein Wissen über die Verältnisse nur aus Zeitungsartikeln und teilweisen Erzählungen hat, sich das Recht nehmen kann, über diese Generation zu urteilen. Nicht, solange er nicht selbst mit einer derartigen Situation zu kämpfen hatte.