Auf den ersten Blick wirkt Torremo kaum wie ein Industriebezirk – beinahe alle Fassaden sind farbig bemalt und über jeder Haustür hängt ein kunstvoll bestickter Wandteppich.
Doch wo der Schein trügt, offenbart die Nase die Wahrheit. Der unglaubliche Gestank der Färbereien ist unmöglich von dem Stadtteil zu trennen. So kommt es auch, dass die Arbeit in Torremo verglichen mit den anderen Handwerksbezirken recht schlecht bezahlt ist. Der einzige Ort, der Zuflucht vor den unangenehmen Gerüchen des Bezirks bietet, ist die Kathedrale des Mondes. Je näher man ihr kommt, desto klarer wird die Luft – eine Entwicklung die beinahe beabsichtigt scheint. Im Inneren der heiligen Gewölbe finden die wichtigsten Zeremonien der uralten Religion statt und es gibt nicht wenige Sektionen, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Meister Lorenz, das Oberhaupt der Schüler scheint beinahe so alt wie sein Glaube selbst zu sein. Er trägt stets eine Augenbinde, weshalb viele vermuten, dass der alte Mann längst erblindet ist, oder es vielleicht schon von Geburt an war. Aber auch ohne Augenlicht scheint es wenige Dinge zu geben, die Lorenz verborgen bleiben – ein Schleier aus Mysterien umgibt ihn. Mysterien die vielleicht besser nie enthüllt werden.
Einführung Meister Lorenz
Ruckartig bewegte Meister Lorenz den Kopf hin und her. Wegen seiner Augenbinde wirkte es immer so, als würde er die Schüler des Mondes vor ihm ansehen. Seltsame Laute entrangen sich seiner Kehle und die Menge hielt den Atem an.
„Der Boden ist rot. Rot ist der Boden. Sie fliegen darüber hinweg. Sie schweben. Die Flügel sind weiß. Rauch, überall Rauch.“ Seine Stimme wurde leiser und die folgenden Worte waren nicht zu verstehen. Waren seine Hände zu Anfang noch hoch erhoben gewesen, so presste er sie nun vor das Gesicht und wimmerte. Mehrere Helfer sprangen herbei und führten den Meister davon.
Ein anderer Priester trat hervor. „Ihr habt die Worte vernommen. Denkt darüber nach, nicht jedem erschließt sich ihr Sinn sofort und nicht immer ist ihr Sinn für jeden der Selbe. Doch lasst es uns als gutes Omen annehmen.“
Der Priester trat vor einen goldenen Kelch und schnitt in seinen vernarbten Unterarm. Leise pulsierte das Blut daraus hervor. Nacheinander traten auch die anderen Priester herzu und fügten ihr Blut im Kelch hinzu. Nachdem dieser langsam geschwenkt worden war, wurde das Blut in einer langen Linie auf ein weißes Laken ausgeschüttet. Glücklicherweise war die Linie gleichmäßig und auch ihre Farbe war einheitlich. Die Menge seufzte auf.
„Was habe ich diesmal gesagt?“ Fragte Meister Lorenz. Den Inhalt seiner Visionen wusste er danach nie. Das machte es auch so schwierig in der Auslegung. Interessiert hörte er die Antwort. „Veränderungen kommen auf uns zu.“ Das war alles was er dazu anmerkte. Meister Lorenz ließ sich nie dazu herab seine Visionen auszulegen.