Den Wechsel von anderen Stadtteilen nach Vigelano bekommt man schnell mit, denn die Anzahl an Bewaffneten steigt dramatisch, je näher man dem Domizil der niedrigen Adligen kommt. Sie nutzen jede Gelegenheit ihre Sonderstellung im Gesetzbuch auszuspielen und verkehren am Meisten mit ihresgleichen, sprich der "gehobenen Gesellschaft". Diebe oder andere Kriminelle sind gut beraten diesen Bezirk zu meiden – denn auch wenn die Präsenz der Stadtgarde längst nicht so groß ist wie in anderen Bezirken, so machen all die mit Degen und Pistolen bestückten Adligen das mehr als wett (und sie gehen nicht gerade zimperlich mit Verbrechern um). Die Anwesen der Bewohner Vigelanos verfügen häufig über einen kleinen Vorgarten, ganz so als wollten sie den Ducor-Familien mit ihren großen Parkanlagen nacheifern.
Der wohl beliebteste Treffpunkt im Viertel und zum Teil auch darüber hinaus ist das berühmteTheater "Stellaria", wobei die Adligen selbst am liebsten Ballett, Oper und Konzerten frönen, während die reichen Händler eher das klassische Schauspiel bevorzugen. Die Intendantin des Theaters ist Barosa Lydia Florez – früher selbst eine gefeierte Diva und Opernsängerin, bekannt für ihre tiefe Stimme. Berühmt würde sie durch eine Aufführung, bei der sie für einen männlichen Kollegen einsprang, der sich eine Erkältung zugezogen hatte und deshalb nicht auftreten konnte. Berichten zufolge war der Gesang männlicher als der des Herren. Heute tritt die Barosa nur noch selten selbst auf und beschränkt sich darauf die Geschicke des Theaters zu lenken und seine hohe Klasse zu erhalten. Sie stellt nur die besten Musiker, Sänger, Tänzer und Schauspieler ein – aber auch wenn ihre Standards hoch sind, so sind sie doch gerechtfertigt. Das "Stellaria" ist schließlich keine Kammerbühne in einer Kleinstadt – nein, das "Stellaria" ist das beste Theater der Welt. Jedenfalls wird dies behauptet.
Prinzip der adeligen Titel:
Nur das Familienoberhaupt bzw der Träger des Adelstitels wird mit dem Titel angesprochen. Das bedeutet, dass Rodrigo Arcos als Ducor Arcos bezeichnet wird, während etwa sein Erbe oder alle anerkannten Personen der Erblinie nur alsVorname de Arcos bezeichnet werden. Dies gilt sowohl für Hochadel als auch Niederen Adel. Frauen werden mit der weiblichen Form des Titels angesprochen sofern sie selbst das Oberhaupt sind, oder mit dem Oberhaupt verheiratet sind. Frauen in der Erblinie werden als XXX da [Familienname] bezeichnet.
Cavante werden üblicherweise ebenfalls mit dem „de“ bzw „da“ angesprochen, die Bezeichnung Cavant/Cavanta wird nur bei offiziellen Anlässen verwendet.
Die Titel (de / da = von)
- Regul – König
- Praence – Fürst / Praencess - Fürstin
- Ducor – Herzog / Ducess - Herzogin
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- Etan/Con – Graf / Coness - Gräfin
- Vicon – Vizegraf / Viconess - Vizegräfin
- Baros – Baron / Barosa - Baronin
- Cavant – Ritter / Cavanta - Ritterin
Barosa Lydia Florez
Die junge Opernsängerin gab ihr Bestes. Aber Lydia Florez konnte ihre Nervosität trotzdem erkennen und das leichte Zittern in ihrer Stimme wahrnehmen, als sie die Arie sang.Mit einem kritischen, mitleidigen Blick verfolgte die Barosa das Geschehen. Die Kandidatin war nicht schlecht - aber “nicht schlecht” war im “Stellaria gleichbedeutend mit “Nicht gut genug”. Seufzend hob Lydia ihre Hand und bedeutete der Sängerin aufzuhören.“Im Mittelteil bist du um eine Note verrutscht. So etwas darf dir in unserem Haus nicht passieren. Ansonsten war deine Darstellung ganz passabel, aber du musst noch mehr üben. Was nicht verwunderlich ist: immerhin bist du noch jung”Mit einer weiteren Handgeste bedeutete sie der niedergeschlagenen Frau, sich zu entfernen.Das war die letzte für heute gewesen. Was hieß, das sie noch immer keinen Ersatz für Cosima hatte. Leise fluchte sie ihre tiefe Stimme. Sie konnte unmöglich eine Arie wie diese singen. Wenn sie nicht bald Jemanden fand, der diesen part übernehmen konnte, würden sie gewaltig in der Klemme stecken.
Die Karten für die Veranstaltung waren längst ausverkauft - die Barosa konnte unmöglich absagen. Aber sie wollten ihrem Publikum auch keine zweitklassige Aufführung darbieten. Langsam spürte sie, wie sie wieder Kopfschmerzen bekam. Ächzend erhob sie sich von ihrem Stuhl und bewegte sich missmutig in Richtung ihres Büros. Kaum war sie angekommen, wanderte ihre Hand wie von selbst zu dem Schrank mit den Weinflaschen. Aber noch bevor sie ihn aufschließen konnte, klopfte es an der Tür. Abermals fluchte Lydia Florez. Nicht einmal eine kleine Auszeit durfte sie sich gönnen. “Was gibt es?”, fragte sie herrisch und riss die Tür auf. Sie musste sich gewaltig zusammenreißen, um nicht allzu aggressiv zu erscheinen.
Vor ihr stand ein schmächtiger junger Mann, irgendein Dienstbote wahrscheinlich.“Ein Brief für euch”, presste er nervös hervor.Sie zerrte ihm das Stück Papier ruppig aus der Hand, drückte ihm vier Venturi zu und verabschiedete ihn mit einem bemühten Lächeln.“Danke, du darfst gehen”Ohne auf seine Antwort zu warten knallte sie die Tür wieder zu und ging endlich zu ihrem Weinschrank. Sie entschied sich für einen guten Jahrgang aus Vivara und ließ sich seufzend in ihren Sessel fallen. Geübt goss sie sich das schmackhafte Rot in ein Glas ein, nahm einen Schluck und sah dann auf den Brief herab. Die Barosa wusste eigentlich schon, was der Brief vermutlich beinhalten würde - dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, sträubte sie sich ihn zu öffnen. Gut eine halbe Stunde und mehrere Weingläser später, rang sich die alternde Diva schließlich durch und öffnete die Nachricht.In ihm befanden sich nur zwei Dinge. Das Erste war eine kurze Notiz.
Sie lautete: “Wir würden gerne die Aufführung ‘Schwalbenfluss’ besuchen. Stellt 6 Plätze für uns bereit”. Eine Unterschrift gab es nicht. Die war auch nicht nötig, denn der zweite Gegenstand, der sich in dem Umschlag befand, hätte wohl fast allen Bewohnern dieser Stadt einen Schauer über den Rücken gejagt. Es war eine Tarotkarte, mit der Darstellung eines furchterregenden Skeletts. Es war kein Original, sondern eine Botschaft, die sie nur allzu gut verstand. Nervös ging die Barosa zu ihren Schreibtisch und hielt den Brief in die dort brennende Kerze. Dann sank sie wieder zurück in ihren Sessel und ertränkte ihre Sorgen im Wein.